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Am 25. Mai 2018 tritt die neue europäische Datenschutzgrundverordnung in Kraft (lesen Sie dazu auch: Was bedeutet die neue EU-Datenschutzverordnung für die Schweiz?). Was sie für Konsequenzen haben wird, sorgt in unserer Branche im Moment für Unsicherheit und Unruhe. Noch ist schwierig abzusehen, wie sie insbesondere die Welt der Internetwerbung verändern wird – und das User-Verhalten im Netz. Für Tweeks haben wir bei Experten für Medienrecht und Datenschutz nachgefragt, welche Folgen die DSGVO für die Werbebranche haben könnte. Dr. iur. Barbara Widmer, Anwalt Lukas Bühlmann und Prof. Dr. Andreas Fahr standen Red’ und Antwort.

ehem. Senior Account Director

Diskussionen um Sicherheit, Datenschutz, Anonymität und Datenge- bzw. -missbrauch sind so alt wie das Internet selber. In letzter Zeit gewinnen sie aber immer mehr an Aufmerksamkeit und Dringlichkeit, wie zum Beispiel jüngst erst der Facebook-Cambridge Analytica Datenskandal bewies. Spezialisten sind sich der Problematik natürlich schon länger bewusst und sie versuchen, der oft unübersichtlichen und schwammigen Lage Herr zu werden. Rechtlich geschieht in dieser Hinsicht mit der DSGVO jetzt ein neuer Schritt.

Die wichtigsten Punkte der DSGVO kurz und bündig

Dr. iur. Barbara Widmer, LL.M., ist Certified Internal Auditor und Expertin für Wirtschafts-, Immaterialgüter-, Informations- und Europarecht. Sie beleuchtet die wichtigsten Punkte der DSGVO kurz und bündig.

Dr. iur. Barbara Widmer

Bedeutung für Unternehmen

  1. Verschärfte Vorschriften für die Datenverarbeitung – unter anderem hinsichtlich der Gültigkeit der Einwilligung der von der Datenverarbeitung betroffenen Personen.

  2. Die Gefahr, Geldbussen zu erhalten – neu haben Datenschutzaufsichtsstellen von EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei Verstössen gegen die EU‐Datenschutzgesetzgebung hohe Geldbussen zu besprechen. Je nach Verstoss betragen diese bis zu 10 oder 20 Mio. Euro, bzw. bei Unternehmen bis zu 2 bzw. 4% des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vergangenen Geschäftsjahres – je nachdem, welcher Betrag höher ist.

  3. Extraterritoriale Wirkung der EU‐Datenschutzgesetzgebung ‐ auch Unternehmen ausserhalb der EU (z.B. in der Schweiz) können unter gewissen Voraussetzungen in den Anwendungsbereich der EU‐Datenschutzgesetzgebung fallen (inkl. Geldbussen).

Bedeutung für den User

  1. Die Rechte der User werden in verschiedenen Bereichen gestärkt. So haben sie in Zukunft mehr Möglichkeiten, ihre Einwilligung zu steuern oder verfügen neu über ein Recht auf Löschung (auf Vergessen) und auf Datenübertragbarkeit. Dies sind lediglich einige Beispiele – die EU‐Datenschutzgesetzgebung enthält weitere Neuerungen zugunsten der User.

  2. Für alle User in der EU gilt mit der neuen EU‐Datenschutzgesetzgebung dasselbe Datenschutzrecht. Das war bis anhin nicht so. Die EU machte nur Rahmenvorgaben und jeder Mitgliedstaat konnte im Rahmen dieser Vorgaben ein eigenes Datenschutzrecht erlassen. Die neue EU‐Datenschutzgesetzgebung gilt nun aber in allen Mitgliedstaaten gleichermassen und jeder von einer Datenbearbeitung Betroffene kann sich direkt auf diese berufen.

Bedeutung für die Internetwerbung

  1. Ein entscheidender Punkt für die Internetwerbung sind die verschärften Vorgaben für eine gültige Einwilligung: Grundsätzlich ist ein Unternehmen nur berechtigt, die Daten einer Person zu verarbeiten, wenn diese in die Verarbeitung eingewilligt hat. Dies war auch bis anhin so und ist somit nicht neu. Neu ist, dass zukünftig für die Gültigkeit dieser Einwilligung verschärfte Vorgaben gelten. Während es z.B. bis anhin möglich war, passiv in eine Datenverarbeitung einzuwilligen, ist neu eine aktive Einwilligung erforderlich (Opt-in anstatt Opt-out).

Interview mit Anwalt Lukas Bühlmann

Lukas Bühlmann, Anwalt, LL.M. und Fachexperte

Meine Fragen zu möglichen Auswirkungen der DSGVO auf die (Internet-)Werbung beantwortete Lukas Bühlmann, LL.M., Anwalt, Fachexperte der Lauterkeitskommission und Vorstandsmitglied des Schweizer Dialogmarketingverbandes SDV

Werden Unternehmen/Websites ab Mai regelmässig überprüft?


Lukas BühlmannDie zuständigen Aufsichtsbehörden werden bei den Prüfungen wohl Prioritäten setzen müssen. Aber grundsätzlich lautet die Antwort: Ja, Unternehmen die in den Anwendungsbereich fallen, können ab Mai 2018 grundsätzlich auf den Prüfstand kommen. Insbesondere werden voraussichtlich Datenschutzerklärungen sowie Verarbeitungsverzeichnisse von den Datenschutzbehörden geprüft werden.

Was bedeutet diese Regulierung für die Internetwerbung?


Die DSGVO enthält keine speziellen Regelungen explizit für die Internetwerbung. Das bedeutet aber nicht, dass kein Handlungsbedarf besteht. Ganz im Gegenteil! Die folgenden drei Punkte in der DSGVO haben auf die Internetwerbung einen wesentlichen Einfluss:

  1. Erlaubnistatbestand

    Eine zentrale Rolle spielt die Frage nach der ausdrücklichen Einwilligung des Users, bevor die Daten für Marketingzwecke verwendet werden dürfen. Liegt keine Einwilligung für die Verarbeitung zu Werbezwecken vor (die Vorgaben für die Einwilligung sind bedeutend strenger geworden), wird für die Werbung ein anderer Erlaubnistatbestand erforderlich sein, z.B. die Wahrung eines berechtigten Interesses des Unternehmens, wobei dieses jedoch immer auch die Interessen der User auf Unterlassen der Verarbeitung überwiegen müssen.

  2. Geeignete Information
    über die Werbenutzung

    Für die Einhaltung der DSGVO spielen insbesondere die Informationspflicht und das Transparenzgebot bei der Datenverarbeitung eine zentrale Rolle, auch und gerade bei Internetwerbung. Die User müssen präzise, leicht verständlich und gut sichtbar über die Datenbearbeitungen und die Datennutzung zum Zwecke der Internetwerbung informiert werden. Viele Internetwerber haben oder sind aktiv daran diese Information gründlich zu überarbeiten, um ihren Informations- und Transparenzpflichten nachzukommen.

  3. Widerspruchsmöglichkeit

    Art. 21 DSGVO ist die einzige Norm, die den Begriff der „Werbung“ ausdrücklich verwendet. Demnach können betroffene User gegen die Verarbeitung von Daten zu Zwecken der Direktwerbung und gegen das damit verbundene Profiling im Prinzip jederzeit Widerspruch einlegen. Haben sie das getan, darf die Nutzung für Direktwerbungszwecke nicht mehr erfolgen.

Und wie reagieren in Ihrer Erfahrung die Werbeleute auf das Thema? Welche Ängste oder Befürchtungen kursieren?


Die DSGVO hat in der Werbebranche (wie auch in vielen anderen Branchen) viel Unruhe verursacht. Insbesondere die vielen, in ihrer praktischen Bedeutung unklaren neuen Vorschriften sorgen für Unsicherheit. Klar ist, dass wir in Kürze – ab dem 25. Mai 2018 – quasi in einer datenschutzrechtlich anderen Epoche leben werden. Dies kann aber auch als Chance gesehen werden. Im Vergleich zum europäischen Ausland bestand in der Schweiz schon lange Nachholbedarf in einem der Bedeutung der Digitalisierung entsprechenden Umgang mit Daten. In Zukunft wird datenschutzrechtliche Compliance für die Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Unternehmen zentral sein.

Es wird immer einen Weg geben,
rechtmässig Werbung zu treiben.

Lukas Bühlmann

Könnte das einen Rückwärts-Trend einläuten? Weniger Werbung im Internet?


Es wird immer einen Weg geben, rechtmässig Werbung zu treiben. Es ist derzeit allerdings noch schwer, die genauen Konsequenzen der Anwendung der DSGVO im Bereich des Online Marketings vorauszusagen. Die Zulässigkeit von Internetwerbung richtet sich wesentlich nach einer Interessenabwägung und der Einhaltung insbesondere erhöhter Informationspflichten, deren Kriterien aber durch die Aufsichtsbehörden oder durch die Rechtsprechung ab den 25. Mai 2018 erst noch konkretisiert werden müssen. Entscheidend ist, dass rasch Klarheit besteht zur Bedeutung der neuen Vorschriften für bestimmte Werbeformen, und dass diese Vorschriften dann auch möglichst einheitlich durchgesetzt werden. Die entsprechenden Entwicklungen müssen daher in den kommenden Monaten genau verfolgt werden.

Die DSGVO und die User Journey

Auf der anderen Seite steht der User und seine Experience im Internet. Die neuen Regelungen mit der DSGVO werden ihn stärker schützen – aber potenziell auch nerven. Denn ab Mai werden laufend Meldungen am Bildschirm aufpoppen, die darauf hinweisen, dass Daten registriert werden, für werbliche Zwecke genutzt und weitergegeben werden. User werden laufend Freigaben, Einverständniserklärungen, Lesebestätigungen etc. anklicken müssen. Ob das das Bewusstsein für die eigene Sichtbarkeit im Internet und den persönlichen Datenschutz schärfen wird? Eines wird es auf jeden Fall verändern: Die User Journey, wie wir sie bisher kennen und als Anbieter bewusst zu gestalten und führen versuchen.

Was für Auswirkungen wird die DSGVO auf die User Journey und das Userverhalten haben? Werden User die vielen Accept-Buttons einfach mit wegklicken, ohne sich etwas zu überlegen, oder passiert da doch auch in den Köpfen etwas, das einen Paradigmenwechsel einläuten und das Userverhalten massiv verändern könnte? Müssen wir unsere Kommunikationsmassnahmen entsprechend anpassen?

Expertenmeinung von Prof. Dr. Andreas Fahr

Prof. Dr. Andreas Fahr. (c) Hugues Siegenthaler

Prof. Dr. Andreas Fahr äusserte sich zu möglichen Auswirkungen der DSGVO auf die Werbebranche und die User-Journey.

Da die Forderungen der Neuerungen der DSGVO durchaus erheblich sind, wird sich das natürlich auch von Anbieterseite auf die Neukonzeption der User Journey auswirken. Die Anbieter müssen ja reagieren.

Hier wird aber vermutlich zunächst viel «ausprobiert» werden, da die Verordnung ja keine konkreten Vorgaben machen kann, wie die Anforderungen technisch umgesetzt werden sollen bzw. können. Ob dies «korrekt» im Sinn der Verordnung umgesetzt wird, dürfte nur im Einzelfall und dort auch nur sehr schwer beurteilbar sein. Aber ja, die User Journey wird sich (kurzfristig) verändern. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass sich User sehr schnell an das Anklicken von «Okay», «Akzeptieren» usw. gewöhnen – ohne die Konsequenzen der Handlung zu durchschauen bzw. durchschauen zu wollen. Denken Sie allein daran, wie viele «Accept»-Buttons wir heute schon nahezu täglich anklicken.

Es ist ein bisschen wie Beipackzettel-Lesen. Wir wollen gesund werden. Das ist das Ziel. Auf dem Weg zum Ziel wollen wir uns so wenig wie möglich mit Hindernissen aufhalten. Das gilt auch für den Produktkauf, die Inanspruchnahme einer Dienstleistung usw.

Etwas anders dürfte es aussehen, wenn User zum Akzeptieren aktiv (persönliche) Daten eingeben müssen, anstatt nur per Button einen Hinweis wegzuklicken. Wird dies umgesetzt bzw. muss es umgesetzt werden, ist mit klareren Abbrüchen der Nutzung, also Breaks in der User Experience zu rechnen. Aber auch hier ist mit der Zeit mit einem Gewöhnungseffekt zu rechnen, insbesondere, wenn dies früher oder später bei jedem Anbieter in ähnlicher Form auftaucht.

Betrachtet man die breite Userschaft, wird der Effekt all dieser Freigaben auf das Bewusstsein des Users für einen möglichen Datenmissbrauch aus meiner Sicht überschätzt. Schon heute «weiss» fast jeder, dass mit seinen Daten einiges angestellt werden kann und auch angestellt wird. Trotzdem führt dies in der Breite nicht zu stark verändertem Nutzer- und Nutzungsverhalten. Solange der (erwartete) Nutzen des Produktes, des Services, der Information etc. hoch ist, ist man bereit, passiv recht viel preiszugeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die «problematischen» Punkte erst spät im User Flow auftauchen und sich ein User zeitlich und inhaltlich schon erheblich investiert hat.

Wenn man einmal alle Angaben gemacht, angeklickt, eingetragen und akzeptiert hat, wird diese Entscheidung bei der nächsten Nutzung nicht neu gefällt bzw. überdacht. Sie tritt in den Hintergrund und damit auch die «Gefahr», die mit der Preisgabe verbunden war und ist. Wir machen uns nicht bei jeder Facebook-Nutzung Gedanken über die Verwendung der Daten und die Privacy-Einstellungen. Ist der Rubikon einmal überschritten, gehen wir (selten) zurück.

Ist der Rubikon einmal überschritten,
gehen wir (selten) zurück.

Prof. Dr. Andreas Fahr

Ich kann mir im Wesentlichen nur zwei Vorfälle vorstellen, die eventuell einen starken Effekt haben könnten: Erstens, der User erlebt einen nicht unerheblichen, unmittelbaren persönlichen Schaden. Zweitens, es kommt zu einem exemplarischen Schauprozess an einem bekannten Anbieter, der erhebliche Konsequenzen für diesen hat – ein bisschen so, wie der Facebook-Cambridge Analytics Skandal dem Thema Datenschutz erst kürzlich wieder Aufwind in der breiten Öffentlichkeit gegeben hat. So etwas könnte dazu führen, dass andere Anbieter aus Angst vor denselben Konsequenzen «ordentliche» Arbeit an ihrem Angebot vornehmen.

Fazit

Eine zentrale Frage in Bedeutung und Auswirkung der DSGVO auf Werbung und User-Journey scheint der Nutzen für den User zu sein. Hier muss es der Kommunikation gelingen, der Zielgruppe den hohen Nutzen des Produkts klar aufzuzeigen, damit (potenzielle) Kunden erforderliche Angaben und Bewilligungen geben. Ausserdem kann es hilfreich sein, den User-Flow zu prüfen und die rechtlich geforderten Datenschutzmassnahmen möglichst kurz vor einem Abschluss zu integrieren, um einen Abbruch der Session zu verhindern.

Auf den Punkt gebracht

Anbieter werden technische und formelle Anpassungen an ihren Websites vornehmen müssen, was mit einem nicht zu unterschätzenden Aufwand verbunden ist. Die genauen Anforderungen und konkrete Umsetzung werden sich allerdings erst zeigen. Sicher ist, dass sich die Journey verändern wird. Es ist aber mit einem starken Gewöhnungseffekt zu rechnen, wodurch der User vermutlich bald wieder in einen Flow finden und ähnlich konsumieren wird wie bis anhin. Die Veränderungen werden den eigentlichen Werbemassnahmen vorerst also keine grossen Anpassungen abverlangen. Und sollten insbesondere zur Internetwerbung noch mehr Regulierungen folgen, dann «wird es immer einen Weg geben, rechtmässig Werbung zu treiben.»

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