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In der Glitzerwelt von Fashion und Design herrscht ein gnadenloser Verdrängungskampf. Was heute hip ist, ist vielleicht schon morgen nicht mehr angesagt. Wer über längere Zeit bestehen möchte, muss agiler und schneller sein, als die Konkurrenz. Kein Wunder, entstehen in der Modebranche neue Ansätze der Firmenorganisation. Sich diese genauer anzuschauen, kann auch für andere Branchen wertvoll sein. Ein Beispiel: das Arbeiten in Teams statt Silos.

CEO und Partner

Wissen Sie, wer Amancio Ortega ist? Nein? So geht es den meisten. Anschlussfrage: Wissen Sie, wer oder was Inditex ist? Auch hier sind Sie nicht alleine, wenn Sie im Dunkeln tappen. Aber eigentlich erstaunlich, macht Inditex doch fast 30 Milliarden Franken jährlich Umsatz. Das ist immer noch ein Stück weniger als Novartis (50 Milliarden) oder Nestlé (mehr 90 Milliarden). Doch sind die Marken von Inditex wohl ähnlich bekannt wie Nespresso oder Voltaren.

Ein Fashion-Imperium aus dem Nichts

Inditex ist eine Textilfirma, welche mit den Marken Zara und Massimo Dutti ihre Branche neu aufgemischt hat. Alleine in den letzten 16 Jahren hat zum Beispiel Zara den Umsatz auf über 18 Milliarden versechsfacht. Wer schon einmal in einem Zara war, kann sich vorstellen, wie viele Kleidungsstücke verkauft werden müssen, um diesen Umsatz zu erreichen. Und 70% des Umsatzes wird unter der Marke Zara erwirtschaftet. Aber auch in den jüngeren Inditex-Brand-Projekten Pull&Bear und Bershka ist die einzelne Textilie nicht teuer. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man den erwirtschafteten Gewinn anschaut, der mit 3.5 Milliarden Franken höher ist als bei jedem anderen Modekonzern. Dies hat Ortega (Jahrgang 1936) in den letzten Jahren zum sechstreichsten Mann der Welt gemacht (gemäss Forbes 69 Milliarden Schweizer Franken).

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Amancio Ortega

Milliardengewinne mit dem Verkauf von günstigen Kleidern. Mit einem Hauptsitz nicht in Paris, Mailand oder Stockholm, sondern in einem Vorort von A Coruña. Ganz im Nordwesten der iberischen Halbinsel. Angefangen hat Ortega als gelernter Schneider mit einem kleinen Laden in besagter Stadt. Von einer lokalen Grösse mauserte er sich rasch zu einem regional bekannten Wert. Den internationalen Durchbruch schaffte er in den 90er Jahren, im H&M-Zeitalter. Sie mögen sich erinnern. H&M buchte flächendeckend alle grossformatigen Plakate in allen Städten dieser Welt und bildete darauf die teuersten Top-Models ab. Vermutlich mögen sich viele der Leserinnen und Leser an die Plakate mit Heidi Klum oder Gisele Bundchen sogar noch erinnern. Das war die Werbestrategie schlechthin und machte H&M zum Spitzenreiter im Günstig-Bereich der Mode.

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Der erste Zara Store in A Coruña, Spanien.

Mögen Sie sich an ein Plakat von Zara erinnern? Nein? Niemand wird das. Weil Señor Ortega nicht an die Werbung glaubt, hat er nie welche gemacht. Was ist dann sein Geheimnis? Kann man irgendwo noch günstiger produzieren als H&M und all die anderen das tun? Im Gegensatz zur Konkurrenz produziert Inditex auch heute noch das Meiste in den Randgebieten Europas und nicht in Asien.

Hat er denn die besseren Modedesigner? Und das über Jahre hinweg? Zu jeder Saison wieder? Mit dieser Fragestellung kommen wir der Sache näher. Amancio hat sich als guter Gallego schon früh über die Verschwendung von Ressourcen in der Textil-Industrie enerviert. Der Textil-Waste der Modebranche liegt nämlich bei unglaublichen 50%. Die Hälfte der Kleider, welche produziert werden, treffen den Geschmack des Publikums nicht oder sind zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Selbst beim Ausverkauf bleibt die Ware liegen und wird dann früher oder später entweder «recycelt» oder vernichtet. Das bedeutet, dass in jedem Kleidungsstück, welches verkauft wird, auch der Preis eines Stückes eingerechnet werden muss, welches den Verkauf nicht schafft.

Weniger Waste, mehr Effizienz

Wieso ist die Quote so hoch? Stellen Sie sich vor, Sie seien im Besitz einer Modeboutique. Dann müssen Sie im Herbst jeweils entscheiden, was nächsten Frühsommer Mode ist. Hierzu gehen Sie an Fashionshows und an Modemessen. Sie bestellen die Ware ein halbes Jahr im Voraus und planen dann drei Monate vorher die Werbekampagne, damit am Tag X, wenn die Ware angeliefert wird, hoffentlich ein grosses Verlangen genau nach bestellten Kleidungsstücken herrscht. Dabei handelt es sich systembedingt um einen Blindflug. Sie wissen ja nicht, was die Konkurrenz gleichzeitig produzieren liess und Sie wissen vor allem nicht, wo der Trend hingehen wird. Das können Sie nur vermuten.

Und hier liegt das Geheimnis des Erfolges von Zara. Inditex-Brands produzieren nur in kleinen Auflagen, verfolgen aber in ihren eigenen Läden (keine Franchise-Verkaufsflächen wie bei H&M) ganz genau die Entwicklung der einzelnen Stücke. Vor allem interessieren die Verkaufs-Trends ihrer Kollektionen in Paris, Madrid, London und Berlin. Was läuft, wird sofort nachproduziert. Was nicht läuft, kommt raus. Zweimal wöchentlich werden so die Läden neu angepasst beliefert. Jeden Monat wechselt das Sortiment. Sie können als Käufer oder Käuferin also jeden Monat etwas Neues im Laden entdecken.

Innovative Organisationsformen

Wie schafft man das organisatorisch? Nun, Ortega hat hier etwas erfunden, was nun von den studierten Harvard-Absolventen bei McKinsey auch entdeckt wurde: Crossfunctional Teams statt Silos mit Fachleuten.

Will heissen, die Spezialisten arbeiten nach Verkaufsangebot eng zusammen. Zum Beispiel für die «Beinbekleidung Frühjahr Männer» kooperiert ein Team von Designern, Einkäufern und Verkäufern. Gemeinsam werden sie am Erfolg gemessen. Nicht die Abteilung Design oder Verkauf. Sondern das Team «Beinbekleidung Frühjahr Männer». Die ganze Firma ist nach den Kundenwünschen aufgestellt und nicht nach den Fachkompetenzen. Das ändert natürlich die ganze Firmenkultur. Und die Kundenwünsche werden automatisch zur wichtigsten Ressource bei der Entwicklung jeder Kollektion.

Das Organisationsmodell mit Silos (links) neben dem Modell mit «Crossfunctional Teams». Grafik: McKinsey&Company, https://mck.co/391YTbL
Das Organisationsmodell mit Silos (links) neben dem Modell mit «Crossfunctional Teams». Grafik: McKinsey&Company, https://mck.co/391YTbL

Was hat das alles mit uns als Kommunikationsagentur zu tun? Sehr viel. Solche Modelle können auch in einer B2B-Dienstleistungsbranche Sinn ergeben. Sie können zum Beispiel die Kreation präziser arbeiten lassen. Denn wie hoch ist denn der «Krea-Waste» unserer Branche? 60% oder 80%? Vermutlich eher höher als tiefer. Und die Frage ist hier: Wer bezahlt das bei steigendem Kostendruck?

Im digitalen Zeitalter ist ein komplexes Zusammenarbeiten einerseits zwischen Agentur und Kunde, aber eben vor allem auch in den Fach-Abteilungen der Agentur selber möglich. Präzisere Lösungsfindungen im kreativen Prozess sollten so möglich sein. Dies wollen wir in Zukunft nutzen. Valencia wird vollständig nach einem Cross-Functional-Modell mit Teams statt Silos umgestellt. Einige unserer Branchenkollegen haben den Schritt schon gemacht. Wir werden ihn durchdacht und mit Sorgfalt, aber auch mit Mut und Zuversicht im 2020 angehen. Sie werden an dieser Stelle bestimmt bald mehr erfahren.

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